Präsident Hanno Hurth entschuldigt sich bei ehemaligen "Verschickungskindern"
Präsident Hanno Hurth entschuldigte sich persönlich und im Namen des Präsidiums für den gesamten Landesverband des Badischen Rotes Kreuzes „bei allen, die im Haus Hohenbaden und in anderen Einrichtungen des Landesverbandes Opfer von psychischen und physischen Verletzungen wurden“.
Gleichzeitig versicherte er den Betroffenen, dass mit der Vorstellung der Studie, für die in erster Linie das im Landesverband noch vorhandene Quellenmaterial gesichtet und ausgewertet wurde, die Aufarbeitung der Geschichte des Kindersolbades noch nicht abgeschlossen ist, sondern weitergehen wird.
Als „Kinderverschickung“ bezeichnet man eine bis in die 1970er Jahre weit verbreitete, gesetzlich geregelte Gesundheitsmaßnahme, bei der chronisch kranke oder als erholungsbedürftig angesehene Kinder ohne ihre Eltern zu mehrwöchigen „Kuraufenthalten“ in Kindererholungsheime oder Kinderkurkliniken geschickt wurden.
Auch der DRK-Landesverband Südbaden e.V. (Vorgängerverband des DRK-Landesverbandes Badisches Rotes Kreuz e.V.) war Träger einer größeren Zahl von Kinderkureinrichtungen, unter anderem auch des Kindersolbads Bad Dürrheim.
Im Jahr 2021 entschied sich das Badische Rote Kreuz die Geschichte seiner Kinderkur- und Erholungseinrichtungen wissenschaftlich aufzuarbeiten und beauftragte dafür die Historiker Sebastian Funk und Johannes K. Staudt. Schnell konzentrierte sich die Untersuchung der Historiker auf das Kindersolbad Bad Dürrheim, da Medienberichte vermuten ließen, dass es in der Einrichtung – einer der größten Kurkliniken Deutschlands – zu massiver physischer und psychischer Gewalt sowie zu vielfachen Medikamentenversuchen an Kindern gekommen war. Basis der Untersuchung waren umfangreiche Vorstands- und Präsidiumsprotokolle. Über Personal- oder Patientenakten verfügt der Landesverband nicht mehr.
Entstanden ist ein knapp 740 Seiten umfassender professioneller Forschungsbeitrag zum Haus Hohenbaden, der als Quellenedition die Basis für weitere Studien liefert.
Die Historiker kommen zum Ergebnis, dass die Berichte ehemaliger Verschickungskinder über verschiedene Gewalt- und Missbrauchserfahrungen in ihrer Substanz die Realität des Kuralltags in Bad Dürrheim widerspiegeln. Als gesichert gelten spontane Gewaltausbrüche aus Überforderung, der gezielte Einsatz (exzessiver) Gewalt zur Unterdrückung individueller Persönlichkeitsentfaltung, der vorsätzliche Missbrauch durch Medikamentenversuche und zumindest in einem Fall gesichert auch sexuelle Gewalt. Die Studie zeigt deutlich, wie Personalnot, schlechter baulicher Zustand sowie die permanente Überbelegung der Einrichtung zu einem „dysfunktionalen System“ führten, in dem weder das ärztliche noch das pflegerische Personal fürchten musste, für den Missbrauch seiner Macht über die anvertrauten Kinder gesellschaftlich oder juristisch zur Verantwortung gezogen zu werden.
Die Auswertung zeigt auch, dass das Kindersolbad Bad Dürrheim nicht aus wirtschaftlichen Interessen betrieben wurde. Im Gegenteil, die Einrichtung war an vielen Stellen eine große finanzielle Belastung für den Landesverband, zeitweilig war sie sogar existenzgefährdend. Doch man fühlte sich als Wohlfahrtsverband aber dem Auftrag verpflichtet, Kindern und sozial weniger Begünstigten zu helfen.
Silvia Wisbar, die als sechsjährige für sechs Wochen ins Haus Hohenbaden verschickt worden war, und sich heute als Sprecherin der Heimortgruppe Bad Dürrheim engagiert, nahm stellvertretend für alle Betroffenen die gedruckte Studie „Haus Hohenbaden - Das DRK-Kindersolbad Bad Dürrheim in der Überlieferung des Badischen Roten Kreuzes“ entgegen. In Ihre Ansprache unterstrich sie, dass die Aufarbeitung weitergehen müsse.
Sozialminister Manne Lucha sprach sich dafür aus, die Aufarbeitung am Runden Tisch weiter voranzutreiben. Im kommenden Jahr soll eine wissenschaftliche Untersuchung von Arzneimitteltests in Kurheimen in Baden-Württemberg auf den Weg gebracht werden. Man müsse sehr ernsthaft hinterfragen, wie es so weit kommen konnte, so der Minister. So etwas wie Medikamentenversuche dürfe es nicht mehr geben.
Die Studie ist nicht nur als Buch erhältlich, sondern auch barrierefrei und kostenlos als Open Access-Publikation abrufbar unter
https://www.avm-verlag.de/res/user/avm/media/9783960916253-funk-hohenbaden.pdf